SONGBOOK II: Schönberg – Vier Lieder für eine Singstimme und Klavier op. 2

1. Erwartung

 

2. Jesus bettelt

 

 

3. Erhebung

4. Waldsonne


Die Opera 1 bis 3, welche Schönberg zwischen 1903 und 1904 im Dreililien-Verlag veröffentlichen ließ, enthalten Liedkompositionen, welche wahrscheinlich alle bereits vor 1900 und ohne den vorgefassten Plan einer zyklischen Zusammenstellung entstanden waren. Ein verbindendes Moment bildet ihre Widmung an den Mentor, Freund und Schwager Alexander von Zemlinsky: »Zemlinsky ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke«, bemerkte Schönberg 1949 im »Rückblick«. Zemlinsky war es, der den Autodidakten Schönberg mit dem Innenleben der Musik von Brahms und Wagner näher vertraut machte, wovon auch jene vier Lieder, die Schönberg später unter der Opuszahl 2 zusammenfasste, Zeugnis ablegen: So stand der Komponist bis etwa 1897 insbesondere unter dem Einfluss von Brahms (von dem er nach eigenen Worten »Ökonomie und dennoch: Reichtum« zu wahren gelernt habe), bis 1899 dann vermehrt unter jenem Wagners (dem er eine durch erweiterte Harmonik bedingte »Wendefähigkeit der Themen« verdankte). Es zeigen sich zum einen motivische »Knüpftechniken« (Heinrich Schenker), vollgriffige Akkorde, Terzen- und Sextenketten sowie massive Bassoktaven in das Satzgefüge einbezogen, zum anderen nachgerade orchestral eingesetzte Tremoliklänge oder durch chromatische Alterierungen erweiterte Harmonieverbindungen.
Wichtige Anregungen empfing Schönbergs Entwicklung aber auch von den literarischen Vorlagen seiner Kompositionen. 1897, mithin ein Jahr, nachdem Richard Dehmels Gedichtsammlung »Weib und Welt« erschienen war, setzte der Künstler daraus zunächst ein einzelnes Gedicht (»Mädchenfrühling«) in Musik; für seine Lieder op. 2 fasste er drei weitere, in den folgenden Jahren entstandene Dehmel-Vertonungen und einen Text von Johannes Schlaf zusammen. Als Richard Dehmel im Dezember 1912 den nachhaltigen Eindruck beschrieb, den eine Aufführung von Schönbergs »Verklärter Nacht« (die ebenfalls von einem Gedicht aus »Weib und Welt« angeregt wurde) auf ihn gemacht habe, bekannte dieser im Gegenzug: »Ihre Gedichte haben auf meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch sie war ich zum ersten Mal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen. Das heißt, ich fand ihn ungesucht, indem ich musikalisch widerspiegelte, was Ihre Verse in mir aufwühlten.« (13. Dezember 1912)
Insbesondere durch die sprachlich verdichteten Farbvorstellungen Dehmels ließ sich Schönberg auf der Suche nach einem neuen »Ton« anregen: Ganz ähnlich wie erst über zehn Jahre später Kandinsky in »Über das Geistige in der Kunst« stellt Dehmel zum Beispiel in dem von Schönberg als erstem Lied des Zyklus’ vertonten Gedicht »Erwartung« die »antithetischen« Farbwerte rot (als »warm und intensiv«) und grün (als »passiv und ruhig«) bzw. schwarz (bezogen auf eine »tote Eiche« – von Kandinsky mit Todesstille assoziiert) und weiß (verbunden mit »bleichem Mondlicht« – bei Kandinsky als Stille, die Veränderungsmöglichkeiten birgt, beschrieben) einander gegenüber. Die psychische Wirkung der beschriebenen Farbvaleurs und -verhältnisse sucht Schönberg mit subtilen koloristischen Klangmitteln nachzuvollziehen, etwa am Beginn mit später wiederkehrenden alterierten Vorhaltsakkorden und deren durch Arpeggien verzierte harmonische Auflösung. Innerhalb des Zyklus’ erscheinen Akkorde vielfach in Bezug auf die Tonika von jeglicher Funktion entbunden, durch unvollständige Kadenzen, eine Verlangsamung des harmonischen Tempos oder Akkordrepetitionen wird die Auffassung von Klängen als »strukturbildenden« Farbwerten (Walter Frisch) gefördert. Dabei unterliegen die Gedichtvertonungen – ähnlich wie Dehmels Vorlagen – strengen, oftmals symmetrischen Gliederungsverhältnissen.

Matthias Schmidt
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